Erste Klimaklage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
KlimaSeniorinnen aus der Schweiz klagen mit Unterstützung von Greenpeace Recht auf Leben und Gesundheit ein

Wien/Straßburg - Die KlimaSeniorinnen Schweiz und vier Einzelklägerinnen schreiben heute mit der ersten Anhörung einer Klimaklage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg in Frankreich Geschichte. Unterstützt von Greenpeace Schweiz kämpfen sie für ihr Recht auf Leben und Gesundheit. „Nicht genug zu tun, um den globalen Temperaturanstieg unter 1,5°C zu halten, ist eine Verletzung der Menschenrechte. Wir klagen, weil unsere Regierung die Klimakatastrophe nicht ernst genug nimmt. Der starke Anstieg an Hitzewellen macht uns ältere Frauen krank“, so Anne Mahrer, Präsidentin des Vereins KlimaSeniorinnen. Der Fall wird ein Präzedenzfall für alle 46 Staaten des Europarates sein und darüber entscheiden, ob und inwieweit ein Land wie die Schweiz seine Treibhausgasemissionen strenger reduzieren muss, um die Menschenrechte zu schützen.
Die 2.038 Seniorinnen für Klimaschutz aus der Schweiz haben ihre Regierung 2020 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verklagt, weil ihr Leben und ihre Gesundheit durch die von der Klimakrise verursachten Hitzewellen bedroht sind. Der EGMR hat den Fall vorgereiht und wird ihn vor der Großen Kammer des Gerichts mit 17 Richtern verhandeln. "Ältere Frauen sind extrem anfällig für die Auswirkungen von Hitze. Es gibt stichhaltige Beweise dafür, dass sie einem erheblichen Risiko ausgesetzt sind, an den Folgen von Hitze zu sterben oder zu erkranken. Der Staat muss das Recht auf Leben, Gesundheit und Wohlergehen der Bevölkerung laut Artikel 2 und 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention schützen. Die durch die Klimakrise verursachten Schäden und Risiken reichen bereits jetzt aus, um diese Verpflichtung auf Schutz in Anspruch zu nehmen", erklärt Cordelia Bähr, Juristin der Seniorinnen für Klimaschutz Schweiz.
Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte soll auf Grundlage dieser und zwei weiterer Klagen entscheiden, ob und inwieweit Staaten die Menschenrechte verletzen, wenn sie keine Maßnahmen gegen die Klimakrise setzen. Dies würde weitreichende Folgen haben. Das Gericht spricht damit ein Grundsatzurteil, das für alle Mitgliedstaaten des Europarats einen verbindlichen Präzedenzfall darstellt. Das Urteil wird frühestens Ende 2023 erwartet.
Fotos finden Sie hier: https://act.gp/3nujEZu
Hintergrund:
Die Klage (Verein KlimaSeniorinnen Schweiz u.a. gegen die Schweiz, Application no. 53600/20) ist eine von drei Klagen zur Klimakrise, die derzeit bei der Großen Kammer anhängig sind. Die beiden anderen Klagen sind:
- Carême vs. Frankreich (Nr. 7189/21): In diesem Fall - der ebenfalls am 29. März vor dem Gerichtshof verhandelt wird - geht es um die Klage eines ehemaligen Bürgermeisters der Gemeinde Grande-Synthe, der klagt, dass Frankreich keine ausreichenden Maßnahmen zum Stopp der Klimakrise ergriffen hat und dass dieses Versäumnis eine Verletzung des Rechts auf Leben (Artikel 2 der Konvention) und des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Artikel 8 der Konvention) darstellt.
- Duarte Agostinho u.a./Portugal u.a. (Nr. 39371/20): In dieser Klage geht es um die klimaschädlichen Treibhausgasemissionen von 32 Mitgliedstaaten, die nach Ansicht der Kläger - portugiesische Bürger:innen im Alter zwischen 10 und 23 Jahren - zur Klimakrise beitragen, die unter anderem zu Hitzewellen führt, die das Leben, die Lebensbedingungen sowie die körperliche und geistige Gesundheit der Kläger:innen beeinträchtigen.
Die Dokumente, die das Gericht zur Entscheidungsfindung heranzieht:
Einreichung der KlimaSeniorinnen Schweiz: https://act.gp/
Einreichung der Schweizer Regierung (in Englisch https://act.gp/
Einreichungen der 23 Drittparteien: https://act.
Factsheet des EGMR zu Klimaklagen: https://act.gp/