Die Lust der Türkisen auf schwarze Listen
Schon im März 2017, damals noch als Außenminister, sprach Kurz angesichts der Rettungsaktionen im Mittelmeer vom „NGO-Wahnsinn“, der beendet werden müsse. Und erst vergangene Woche wieder warf er in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ den engagierten Helfern explizit vor, mit nordafrikanischen Schleppern gemeinsame Sache zu machen.
Dass der amtierende EU-Ratsvorsitzende mit diesen Aussagen niemand Geringeren als die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete humanitäre Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen mit skrupellosen Verbrechern auf eine Stufe stellt, stellt eine neue Dimension dar. Sebastian Kurz attackiert Ärztinnen und Ärzte, die immer wieder ihr Leben einsetzen, um anderen zu helfen.
Diese Aussagen sind aber keineswegs vereinzelte verbale Fehltritte, sie sind Teil eines konsequenten rechtsautoritären Umbauprogramms im Stil von Viktor Orbán, an dem sich die türkis-blaue Bundesregierung ein Beispiel genommen hat.
Zielstrebiges Umbauprogramm
Dieses Umbauprogramm läuft wie erwartet auf Hochtouren: Neben der Disziplinierung der Exekutive (BVT-Hausdurchsuchung), der gezielten politischen Einfärbung der Gerichte mit schlagenden Burschenschaftern (Fall Hubert Keyl), einer Informationssperre für „kritische Medien“ (Herbert Kickls E-Mail-Affäre) sowie Förderungskürzungen für zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen und Organisationen hat nun auch das Mundtotmachen österreichischer Umwelt-NGOs begonnen. Überfallsartig und abseits der geordneten parlamentarischen Begutachtungsverfahren wurde vor Kurzem von Türkis-Blau per Abänderungsantrag in letzter Minute eine Gesetzesbestimmung vorgelegt, die es in sich hat.
Umweltorganisationen mit weniger als 100Mitgliedern sollen künftig von einer Teilnahme an Umweltverträglichkeitsprüfunge
Dieser Vorstoß kommt – wie schon das im Frühjahr lancierte Vorhaben, UVP-pflichtige Projekte unabhängig vom Prüfungsverlauf in jedem Fall nach zwölf Monaten zu genehmigen – unter dem harmlos klingenden Deckmäntelchen der „Verfahrensbeschleunigung“ daher. Und ein Sündenbock ist auch bereits gefunden: An der langen Dauer mancher UVP-Verfahren sind nicht etwa die Projektbetreiber schuld, die oft Jahre benötigen, um alle für das Verfahren nötigen Unterlagen vollständig einzureichen – nein: Angeblich schuld sind ausschließlich die lästigen Umwelt-NGOs, die im Schnitt bei nur zwei von insgesamt 26 UVP-Verfahren im Jahr Rechtsmittel erheben. Diesem „Wahnsinn“ will man nun zum Zwecke von Standortförderung und Wirtschaftswachstum offenbar auch endlich ein Ende setzen.
Abgesehen davon, dass die meisten UVP-Verfahren sehr rasch und effizient abgewickelt werden und man den kleinen Rest mit ganz anderen Maßnahmen wesentlich besser beschleunigen könnte (etwa einer besseren Ausstattung der Behörden mit Amtssachverständigen oder dem vermehrten Einsatz strategischer Umweltprüfungen), ist die dahinter liegende Absicht vollkommen klar.
Greenpeace wird sich wehren
Rund zwei Drittel der etwa 60 heimischen Umwelt-NGOs sollen in die Bedeutungslosigkeit gedrängt werden, und der Rest wäre gezwungen, seine Mitgliederdaten auszuhändigen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Zweiten Republik wäre es der Bundesregierung somit auf gesetzlicher Basis möglich, schwarze Listen vermeintlicher politischer Gegner anzulegen. Einer Bespitzelung der Umweltschutzorganisationen und Hunderttausender ihrer Vereinsmitglieder wäre die Tür geöffnet.
Heinz Mayer, einer der führenden österreichischen Verfassungsrechtler, wird dazu sehr deutlich. Seiner Ansicht nach gebe es keinen gerechtfertigten Grund, gegenüber Öffentlichkeit und Behörden darlegen zu müssen, wer Mitglied einer NGO ist: „Das kann nur dazu dienen, Druck auf Leute auszuüben – eine ganz unschöne Sache“, konstatierte Mayer in einem Gespräch mit der APA.
Da ein derartiges Gesetz nicht nur europarechts- und völkerrechtswidrig ist, sondern auch einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung darstellt, wird Greenpeace selbstverständlich dagegen erbitterten Widerstand leisten und keinesfalls Mitgliederdaten veröffentlichen.
Neuaufrollung von Verfahren
Die Politik von Türkis-Blau würde bis zum Widerruf des Gesetzes auch zu einer gravierenden Rechtsunsicherheit bei allen UVP-pflichtigen Projekten führen. Da das Gesetz von Anfang an auf äußerst wackeligen Beinen stünde, wäre in jedem Fall mit Beschwerden vor den Höchstgerichten zu rechnen, was letztendlich nicht nur zu einer Aufhebung der Rechtsmaterie, sondern auch aller in diesem Zeitraum erlassenen Bescheide führen könnte.
Alle in künftigen UVP-Verfahren beschlossenen Projekte müssten dann neu aufgerollt werden. Dieses Szenario muss selbst der treuesten Klientel von Kanzler Kurz – Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung – den kalten Schauer über den Rücken laufen lassen.
Doch auch wenn dieser eine Gesetzesantrag wieder zurückgezogen werden sollte, ist schon bald mit weiteren Angriffen der Bundesregierung auf Demokratie und Zivilgesellschaft zu rechnen. Auch unser Nachbarland Ungarn wurde nicht an einem Tag in die Grauzone zwischen Demokratie und Diktatur geführt. In vielen kleineren und größeren Schritten, verteilt über etliche Jahre, hat Orbán die Schlinge langsam, aber überaus konsequent zugezogen.
Die Aushöhlung der Demokratie erfolgt genauso elegant, wie man eine ungarische Salami aufschneidet: scheibchenweise und immer nur so weit, dass sich nicht allzu viel Widerstand regt.
Lehrmeister Orbán
In Ungarn hat der rechtsautoritäre Umbau von Staat und Gesellschaft bereits ein Maß erreicht, das EU-Kommission und EU-Parlament auf den Plan gerufen hat. Auch ein Ausschluss von Orbáns Partei, Fidesz, aus der Europäischen Volkspartei (EVP) steht zur Debatte.
Dass ausgerechnet Kurz einer von jenen war, die eine derartige Maßnahme entschieden ablehnen, verwundert nicht. Offensichtlich geht es nicht nur darum, seinen Lehrmeister Orbán vor Ungemach zu bewahren: Kurz weiß, dass seine ÖVP auch bald ins Visier der EVP rücken könnte. Einen entsprechenden Präzedenzfall gilt es demnach unter allen Umständen im Keim zu ersticken.
Der Gastkommentar von Alexander Egit, Geschäftsführer von Greenpeace in Zentral- und Osteuropa sowie Geschäftsführer von Greenpeace Europa, ist am 20. Oktober 2018 in der Tageszeitung "Die Presse" erschienen.