Greenpeace klagt gegen die EU-Taxonomie
Die EU-Kommission hat entschieden, dass Investitionen in Gas- und Atomenergie in Zukunft als „nachhaltig“ gelten sollen. Das ist ein Rechtsbruch, den Greenpeace nicht hinnehmen wird. Deshalb haben insgesamt acht Greenpeace-Büros jetzt Klage gegen die EU-Taxonomie eingereicht.
Hinter der sogenannten EU-Taxonomie steckt der Gedanke, dass private Anlegerinnen und Anleger eine klare Einordnung nachhaltiger Finanzprodukte gegeben wird. Damit sollen Investionenn und Geldströme in zukunftsfähige und klimafreundliche Sektoren gelenkt werden. Doch statt wie vorgesehen die europäischen Klimaziele zu unterstützen, verkommt sie zu einem Greenwashing-Instrument für die Gas- und Atomindustrie.
Die Idee hinter der Taxonomie
Um das 1,5 -Grad-Ziel einzuhalten, will die EU bis 2030 ihre Netto-Treibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent reduzieren und bis 2050 Klimaneutralität erreichen. Um diese Ziele zu erreichen, hat die EU-Kommission den europäischen „Green Deal“ aufgelegt - eine Art grünes Wirtschaftsprogramm, mit dem die Transformation gelingen soll. Dazu gehört auch die Finanzbranche, die mit ihren Milliardeninvestitionen die Wirtschaft von morgen prägt. Denn um Europa klimaneutral zu machen, werden laut Schätzungen der EU-Kommission jährlich rund 350 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen nötig sein. Diese sollten eigentlich mithilfe der Taxonomie mobilisiert werden
Fakt ist, dass sich seit einigen Jahren immer mehr Menschen für „grüne“ Anlagemöglichkeiten interessieren. Fonds und Aktiengesellschaften schießen wie Pilze aus dem Boden, die sich selbst Etikettierungen wie „nachhaltig“, „grün“, „ökologisch“ oder „impact investment“ geben. Das Problem ist: Keiner dieser Begriffe ist geschützt oder genau definiert. Zu unterscheiden, ob ein Investment grün ist oder nur grün scheint, ist schier unmöglich. Mit einem EU-Regelwerk, der sogenannten Taxonomie, wollte die Europäische Union das ändern, indem sie Wirtschaftsakteure danach klassifiziert, wie groß ihr Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz ist. Soweit die Theorie. Aus Greenpeace-Sicht ist die Aufnahme von fossilem Gas und riskanter Atomenergie in die EU-Taxonomie ein Skandal: Die EU-Kommission verstößt mit dem Delegierten Rechtsakt zu Gas und Atom gegen Unionsrecht und das Pariser Klimaschutzabkommen - und bremst die europäische Energiewende aus.
Greenpeace verklagt die EU-Komission
Deswegen reichen acht Greenpeace Büros am Dienstag, den 18. April 2023 beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg Klage ein – Atom und Gas gehören nicht in die EU-Taxonomie! Angeschlossen haben sich: Greenpeace EU, Greenpeace Deutschland, Greenpeace Frankreich, Greenpeace Italien, Greenpeace Luxemburg, Greenpeace Belgien, Greenpeace Spanien und Greenpeace Mittel- und Osteuropa. Greenpeace fordert, dass klimaschädliche Gaskraftwerke und riskante Atommeiler nicht als nachhaltige Investitionen deklariert werden dürfen. Die Klage zielt auf die Annullierung des entsprechenden Delegierten Rechtsakts, der speziell die Berücksichtigung von Gas- und Atomkraftwerken in der EU-Taxonomie regelt. Er ist bereits seit Anfang 2023 in Kraft.
Am gleichen Tag wie Greenpeace reicht ein Verbund aus weiteren Umweltverbänden eine weitere Klage gegen die EU-Taxonomie ein, allerdings mit Fokus auf fossiles Gas – die Greenpeace-Klage bezieht sich sowohl auf Gas als auch auf Atomkraft. Auch die österreichische Regierung hat mit Unterstützung von Luxemburg bereits rechtliche Schritte eingelegt.
Atom & Gas sind nicht nachhaltig
Die Einstufung von Gas und Atom als Brückentechnologie im Rahmen der Taxonomie ist aus Greenpeace-Sicht fatal. Das zeigen zwei Expertisen, die Greenpeace in Auftrag gegeben hat.
- Erdgas verursacht extrem klimaschädliche Methan- und CO2-Emissionen. Solange klimaschädliches Erdgas als Brückentechnologie gilt, darf es für solche Investitionen kein grünes Label geben - Erdgaskraftwerke sind (unter Einbeziehung der Methanemissionen im Lebenszyklus) ebenso klimaschädlich wie Kohle. Die renommierten Energiemarkt-Expert:innen von “Aurora Energy Research” legen in ihrem Gutachten dar, dass die Einbeziehung von Gas in die Taxonomie absolut zu mehr Ausbau von Gas und damit zu mehr CO2-Emissionen führen wird. Weitere Investitionen in Gas würden die sogenannten “Lock-in”-Effekte hervorrufen, sprich: Europa langfristig an den klimaschädlichen Energieträger Gas binden und auf Jahre den Ausbau der Erneuerbaren Energien behindern.
- Atomenergie produziert Atommüll. Sie birgt die Gefahr schwerer Unfälle und kann irreversible Schäden für die Umwelt und die Gesundheit der Menschen verursachen. Sie erzeugt immer Restemissionen und behindert den Ausbau von Erneuerbaren. Die bekannte Atom-Expertin und Physikerin Dr. Oda Becker zeigt in ihrem Gutachten für Greenpeace zudem auf, dass neue AKW keine Übergangstechnologie sein können, weil sie das europäische Klimaneutralitätsziel für 2050 unterlaufen: Zum einen soll das grüne EU-Label für neue Kraftwerksgenehmigungen bis zum Jahr 2045 gelten, ohne die nachfolgende Bau- und Betriebszeit zu berücksichtigen. Zum anderen ist Atomkraft nicht CO2-neutral.
Häufig gestellte Fragen zur Taxonomie-Klage
Die EU-Taxonomie setzt Investmentstandards, mit deren Hilfe Investor:innen zwischen nachhaltigen Geldanlagen und Greenwashing unterscheiden können. Denn die EU will im Rahmen des Green Deal bis 2050 klimaneutral werden - und dafür werden jährlich rund 350 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen benötigt. Diese Gelder sollen mithilfe der EU-Taxonomie mobilisiert werden.
Konkret sollen Finanzprodukte nach einem ökologischen Punktesystem bewertet werden. Dieses Punktesystem basiert auf den sechs zentralen Umweltzielen der EU-Taxonomie:
- Klimaschutz
- Anpassung an den Klimawandel
- Nachhaltige Nutzung und Schutz der Wasser- und Meeresressourcen
- Übergang zur Kreislaufwirtschaft
- Bekämpfung der Umweltverschmutzung
- Schutz und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme
Um ein grünes Label zu bekommen, müssen Unternehmen oder Finanzprodukte wesentlich dazu beitragen, mindestens eins dieser Umweltziele zu erreichen, und sie dürfen keinem der anderen Ziele schaden (“Do-No-Significant-Harm”-Prinzip).
Laut Delegiertem Rechtsakt werden Atom- und Gaskraftwerke ab 1. Januar 2023 als Übergangstätigkeit (notwendig für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft) eingestuft und bekommen damit das Label “grüne Investition” bzw. “wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz” (Artikel 10 der Taxonomie Verordnung).
Das gilt für neue Gaskraftwerke (Genehmigung bis Ende 2030), wenn sie direkte Emissionen von maximal 270 Gramm CO2 pro Kilowattstunde bzw. 550 kg CO2 im Durchschnitt über 20 Jahre verursachen. Nach der technischen Expertengruppe der Kommission wäre für die Energieerzeugung insgesamt aber eigentlich nur 100 Gramm CO2 pro Kilowattstunde nachhaltig. Die (unrealistische) Annahme ist dabei, dass solche Anlagen bis Ende 2035 vollständig auf erneuerbare oder CO2-arme Gase (wie „grüner“ Wasserstoff) umgestellt werden.
Bei neuen Atomkraftwerken (Generation III+) gilt das für Genehmigungen bis 2045 und für Modernisierungen zwecks Laufzeitverlängerung bis 2040. Voraussetzung ist - neben der schlichten Einhaltung des EU-Rechts für die Sicherheit der Anlagen - nur, dass es einen konkreten Plan für die Endlagerung ab spätestens 2050 gibt.
Atomenergie produziert Atommüll, für den es keine sichere Entsorgung gibt. Sie birgt die Gefahr schwerer Unfälle. Auch Atomkraftwerke erzeugen viel CO2 und sind zu langsam für den Kampf gegen die Klimakrise: Laut IPCC-Bericht haben Atomkraftwerke eine Bauzeit von 10 bis 19 Jahren. Die in Frankreich geplanten AKWs werden wahrscheinlich frühestens 2040 ans Netz gehen. Und Atomenergie ist teurer als Erneuerbare - und behindert deren Ausbau.
Erdgas verursacht extrem klimaschädliche Methan- und CO2-Emissionen und ist damit weder grün noch nachhaltig. In Europa ist Gas bereits verantwortlich für mehr Emissionen als Kohle. Erdgaskraftwerke sind (unter Einbeziehung der Methanemissionen im Lebenszyklus) ebenso klimaschädlich wie Kohle.
Sogar laut der Internationalen Energieagentur darf kein Geld mehr in Gas und andere Fossile fließen, wenn wir die Pariser Klimaziele erreichen wollen.
Nach Art 263 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist der Europäische Gerichtshof zuständig für sogenannte Nichtigkeitsklagen. Die hier relevante Verordnung zur Umsetzung der Aarhus Konvention (1367/2006) eröffnet den Rechtsweg für NGOs zum Europäischen Gerichtshof (Hinweis: Damit ist nicht der EuGH gemeint). Dieser setzt sich zusammen aus dem “Gericht” (vormals: der ersten Instanz) und dem “Europäischen Gerichtshof” selbst. Nach den internen Verfahrensregeln ist für die Klage hier zunächst “das Gericht” zuständig – und zwar sowohl für die Greenpeace Klage als auch für eine eventuelle Klage Österreichs gegen den Delegierten Rechtsakt – der “Europäische Gerichtshof” ist die Berufungsinstanz.
Wie lange der Prozess dauern wird, ist schwer vorherzusagen - wir rechnen mit mehreren Jahren. Dies ist die erste Klage ihrer Art nach der neuen Aarhus-Verordnung und deswegen juristisches Neuland. Sollte Greenpeace gewinnen, bedeutet dies sicher einen Präzedenzfall für weitere Klagen dieser Art.
Die Republik Österreich hat im Oktober 2022 bereits Klage gegen den Beschluss eingereicht, Luxemburg plant die Klage zu unterstützen. Die deutsche Bundesregierung hatte sich im Vorfeld lediglich gegen das Ökolabel für Atomkraft ausgesprochen, erwägt aber keine rechtlichen Schritte.