Reportage: Öl aus Feuer
Von Stefan Kerschbaumer
Erinnern Sie sich noch daran, was 2010 war? Nein? Ganz schön lange her, nicht wahr? Seit 2010 ist auch ganz schön viel passiert. Das Smartphone hat die Welt erobert. Shell beschloss in der Arktis nach Öl zu bohren. Shell zog nach anhaltendem Protest von Greenpeace wieder aus der Arktis ab. Spanien, Deutschland und Frankreich wurden seither Fußball-Weltmeister.
Damals, 2010, hatte Österreichs Skistar Marcel Hirscher noch kein einziges Mal den Gesamt-Weltcup gewonnen. Und ebenfalls 2010 versprachen die Konzerne hinter Marken wie KitKat, Doritos, Dove und Colgate sicherzustellen, dass kein Palmöl aus Regenwaldzerstörung mehr in ihre Produkte gelangt. Nur leider ist in der Palmölbranche nicht so viel passiert seit damals.
Rauchschwaden
"In Indonesien wird nach wie vor pro Stunde eine Fläche an Regenwald gerodet, die so groß ist wie 146 Fußballfelder. Dadurch verlieren Paradiesvögel, Orang-Utans und viele andere Tiere ihr Zuhause - genauso wie indigene Gemeinschaften, deren Lebensgrundlage die Urwälder bilden", erklärt Julia Karzel, Waldsprecherin bei Greenpeace. Ein Großteil der Rodungen geschieht, weil Platz für Palmöl-Plantagen geschaffen wird. Insgesamt verschwand in Indonesien seit 1990 Regenwald auf einer Fläche, die fast so groß ist wie Deutschland.
Neben der Abholzung ist die Palmölbranche auch für jährliche Waldbrände in Indonesien mitverantwortlich. „Palmölproduzenten legen Torfmoore trocken. Dadurch schaffen die Konzerne die Bedingungen für immer wiederkehrende Torf- und Waldbrände“, sagt Karzel. Eine gemeinsame Studie der Universitäten Harvard und Columbia schätzt, dass im Jahr 2015 mehr als 100.000 Menschen in Südostasien an den Folgen des giftigen Smogs starben, über 91.000 davon allein in Indonesien.
Palmöl ist weltweit in fast jedem zweiten Supermarktprodukt enthalten. Diese Vormachtstellung der Ölpalme, die nur im tropischen Klima kultiviert werden kann, brachte eine starke und einflussreiche Industrie in Indonesien hervor. Eine verzweigte und verschachtelte Industrie voller Zulieferbetriebe, Partnerfirmen, Sub- und Tochterunternehmen, was die Rückverfolgung vom fertigen Produkt bis zur Plantage schwierig gestaltet.
Konzerninteressen
An der Spitze dieser Industrie steht unter anderem Wilmar International. Wilmar International, von dessen Gründer und CEO das einleitende Zitat stammt, ist der größte Palmölhändler der Welt. Der Konzern liefert fast die Hälfte des weltweit verkauften Palmöls – dabei sind natürlich auch die Allergrößten in der Lebensmittelindustrie wie Nestlé, Unilever und Mondelez.
Und obwohl Wilmar bereits 2013 eine Richtlinie gegen Regenwaldabholzung eingeführt hat, kann der Konzern bis heute sein Versprechen nicht einhalten. Aufwändige Recherchen von Greenpeace International zeigen nun, dass alleine in Indonesien 25 Palmölproduzenten seit Ende 2015 Regenwaldgebiete zerstört haben, die dreimal so groß sind wie Wien. Seit 2015! Wilmar kaufte dabei Palmöl von 18 dieser Produzenten.
„Trotz unserer Rechercheergebnisse ist Wilmar nach wie vor Mitglied beim Roundtable of Sustainable Palm Oil (RSPO)“, erzählt Karzel. RSPO ist ein Gütezeichen, das vorgeblich für „nachhaltiges Palmöl“ steht. Greenpeace kritisiert die Kriterien und die Handhabung von RSPO seit Jahren. „Fakt ist, dass die Industrie selbst Gütezeichen à la RSPO erfindet, um KonsumentInnen in vermeintlicher Sicherheit zu wiegen.
Immer wieder tauchen Berichte über Regenwaldzerstörung und Menschenrechtsverletzungen auf RSPO-Plantagen auf. Konsequenzen gibt es aber kaum“, so Karzel. Schon im Frühsommer traten zwei Personen aus der Führungsetage von Wilmar zurück, nachdem ein früherer Greenpeace-Report weitreichende Verstrickungen in Regenwald-Zerstörung aufgedeckt hatte. Bei Redaktionsschluss hatten die aktuellen Enthüllungen noch keine relevanten Konsequenzen nach sich gezogen.
Vom Schokoriegel zur Plantage
„Ich will die ausgedehnten grünen Blätterdächer meiner Heimat sehen. Ich will die stolzen Wildtiere Indonesiens frei durch unsere Wälder ziehen sehen. Ich will, dass Unternehmen endlich damit aufhören, unseren Wald zu zerstören“, sagt Waya Maweru. Sie ist eine von dreißig AktivistInnen, die unseren Protest gegen Wilmars Rücksichtslosigkeit direkt an den Konzern getragen haben. Stundenlang hielten sie eine Palmöl-Raffinerie auf der indonesischen Insel Sulawesi besetzt und stoppten so für mehrere Stunden die Produktion.
„Greenpeace fordert auf globaler Ebene eine Palmölproduktion, mit der Waldflächen geschützt, Menschenrechte geachtet und keine Torfböden in Anbauflächen umgewandelt werden. Auch wenn das bedeutet, weniger Palmöl zu verwenden“, fasst Julia Karzel zusammen. Zusätzlich muss vollkommene Transparenz herrschen: Die Produktionskette des Palmöls muss bis zur Plantage rückverfolgbar sein.
Nahrung verbrennen
Aber auch in den Abnehmerregionen wie Europa besteht dringender Handlungsbedarf. Stichwort: Agrosprit. „In Europa müssen Pflanzenöle wie Palmöl dem Treibstoff beigemischt werden. Da gibt es keinen Weg dran vorbei, das ist vorgeschrieben. Es ist eine Absurdität sondergleichen, dass wir in Europa Nahrungspflanzen verbrennen, während anderswo Menschen verhungern“, ärgert sich Karzel. Über 50 Prozent des gesamten Palmöls, das nach Europa importiert wird, landet mittlerweile im Tank. Zwischen 2010 und 2014 hat sich in der EU die Beimischung von Palmöl in Agrotreibstoffen mehr als versechsfacht.
„Zwar haben sich die EU-Mitgliedsstaaten darauf geeinigt, dass ab 2021 keine Pflanzenöle mehr beigemischt werden müssen und Palmöl bis 2030 aus europäischen Tanks verschwinden soll. Aber die Vereinbarungen sind noch viel zu vage, um sie als Erfolg für die Umwelt verbuchen zu können“, kritisiert Karzel. Zumal bei der Beimischungsquote ja nur der Zwang fällt, was bedeutet: „Europäische Staaten dürfen nach jetzigem Stand also auch nach 2021 noch Pflanzenöle – somit auch Palmöl - beimischen und damit Nahrungspflanzen verbrennen“, so Karzel. Indonesien und Malaysia haben bereits sauer auf das geplante Aus für Palmöl in europäischen Tank ab 2030 reagiert und wirtschaftliche Sanktionen angedeutet, sollte es die EU tatsächlich umsetzen.
Und jetzt?
Was bleibt für uns KonsumentInnen zu tun, angesichts einer ökonomisch wie politisch hochkomplexen Problemlage und eines Mangels an vertretbaren Palmöl-Angeboten? „Konzerne hören drauf, was KonsumentInnen wollen. Treten Sie deshalb mit den Unternehmen Ihrer Lieblingsmarken in Kontakt und lassen Sie sie wissen, dass Sie kein Palmöl aus Regenwaldzerstörung in den Produkten haben wollen“, rät Karzel. Zusätzlich sollte man in Österreich am besten auf regionale Lebensmittel zurückgreifen beziehungsweise auf Produkte, in denen regionale Pflanzenöle zum Einsatz kommen.
Denn Regionalität ist immer die beste Wahl. In der Lebensmittelindustrie wird Palmöl vor allem in Snacks, Schokolade und Fertigprodukten verwendet. Aus diesem Grund empfiehlt Greenpeace KonsumentInnen sowohl aus gesundheitlichen als auch aus ökologischen Gründen eine ausgewogene Ernährung: „Auf Fertigprodukte verzichten und stattdessen selbst kochen – am besten mit frischen, regionalen und saisonalen Zutaten, idealerweise aus biologischer Produktion.“