Reportage: Ozean 2.0
Von Lukas Meus
New York City, Mitte September, sechs Uhr früh. Ich fahre auf einem Schlauchboot den East River entlang. Neben mir drei weitere Boote mit Greenpeace-AktivistInnen und JournalistInnen. Vor uns geht die Sonne auf und lässt die Skyline von Manhattan in goldenem Schimmer erstrahlen.
Es ist ein wunderschöner Anblick, aber wir sind nicht hier, um die Morgensonne zu genießen. Unser Ziel ist das Hauptquartier der Vereinten Nationen. Vor dem Gebäude angekommen, lassen wir eine fliegende Schildkröte mit Hilfe von Lenkdrachen steigen und ein Transparent mit der Aufschrift “Global Oceans - Global Treaty!” („Globale Ozeane – globales Abkommen!“). Mit der Aktion machen wir darauf aufmerksam, dass bei der UN historische Verhandlungen beginnen: Verhandlungen für das erste weltweite Abkommen zum Schutz der Hohen See.
Hohe See
Die Hohe See, damit sind jene Gewässer gemeint, die nicht in das Hoheits- und Verwaltungsgebiet von Staaten fallen. Jene Meere also, die außerhalb nationaler Grenzen liegen und somit uns allen gehören. Wenn die internationale Staatengemeinschaft es schafft, bis zum Jahr 2020 ein starkes Abkommen zu beschließen, wäre das die Grundlage für ein weltweites Netzwerk an Meeresschutzgebieten. Und das brauchen wir dringend! Denn obwohl die Hohe See die Hälfte der Erdoberfläche und zwei Drittel aller Meere ausmacht, ist nur ein Prozent (!) tatsächlich geschützt. Das muss sich dringend ändern, damit unsere Meere nicht komplett aus dem Gleichgewicht geraten.
Denn Industrien wie gierige Fischereiflotten, rücksichtslose Ölmultis und zukünftiger Tiefseebergbau bedrohen und zerstören die maritimen Lebensräume ohne Skrupel. Dazu kommt die unfassbare Masse an (Wegwerf-)Plastik die tagtäglich in die Gewässer gelangt. Wir haben also nicht mehr ewig Zeit um etwas zu unternehmen. Wir können das Problem nicht der nächsten Generation umhängen. Die Zeit drängt.
Nach zwei Wochen geht diese historische erste Verhandlungsrunde zu Ende. Greenpeace hat auf mehreren Wegen versucht, sie voran zu bringen. Mit der Aktion haben wir die Augen der Welt auf diese Konferenz gelenkt und die Botschaft in viele Länder gebracht. Meine KollegInnen und ich gaben ein Interview nach dem anderen und berichteten von den Verhandlungen. Wir sprachen mit vielen Delegierten und überreichten ihnen kleine Origamis in Form von Meerestieren und der aufgedruckten Botschaft: “The fate of our oceans is in your hands” („Das Schicksal unserer Meere liegt in Ihren Händen“). Auch im Konferenzsaal haben wir das Wort ergriffen und klar gemacht, dass sich Greenpeace nicht mit halbherzigen Lösungen zufrieden geben wird.
Langer Weg
Unser politisches Fazit dieser ersten Runde: Es war ein guter Anfang, aber der Weg hin zu ambitionierten Maßnahmen ist noch weit. Einige Staaten in Afrika, dem pazifischen Raum, Karibikinseln, aber auch Europa haben sich stark gemacht für ein wirkungsvolles Abkommen, das ein Netzwerk an Schutzgebieten möglich macht. Der Delegierte aus Südafrika beispielsweise hielt eine aufrüttelnde Rede und forderte: “Wir brauchen einen Vertrag, der Zähne hat und wenn nötig zubeißt. Einen Vertrag, der ein echter Tiger ist, kein Papiertiger.” Andere Länder wie die USA, Norwegen, Russland und Australien hinken allerdings noch weit hinterher. Sie haben sich bislang für eine schwache und lückenhafte Version des Abkommens ausgesprochen. Damit würde sich am Status Quo nichts ändern.
Mein persönliches Fazit nach fast zwei Wochen Verhandlungen: Viele interessante Gespräche und Vorschläge – aber auch viele politische Floskeln und Stellungnahmen, die wir erst einmal interpretieren müssen. Zudem viele Stunden künstliches Licht in fensterlosen Räumen. Vor allem aber weiß ich, dass der Kampf für ein starkes Abkommen jetzt erst richtig losgeht. Wir haben maximal zwei Jahre, um jene Länder zum Umdenken zu bewegen, die bisher noch zögern und ein starkes Abkommen zum Schutz der Hohen See zu erreichen.
Leider hat ja die Antarktis-Kommission Anfang November versagt und sich nicht auf ein Schutzgebiet im Weddellmeer einigen können. Es wäre das größte Meeresschutzgebiet der Welt gewesen, hätte gefährdeten Tieren wie Pinguinen, Robben und Walen geholfen und darüber hinaus einen großen Beitrag gegen die Klimaerhitzung geleistet. Umso wichtiger sind jetzt die UN-Verhandlungen.
Denn die nächsten zwei Jahre werden entscheidend sein für die Zukunft unserer Weltmeere. Die Delegierten müssen den Schutz dieser Lebensräume und ihrer einzigartigen BewohnerInnen ganz klar vor die Interessen der Fischerei- oder Ölkonzerne stellen. Eines ist sicher: Wir werden alles in die Waagschale werfen, damit das endgültige Abkommen so ambitioniert wie möglich ausfällt und tatsächlich zu einer Erholung der Ozeane beiträgt.