Reportage: Schwer zu verdauen
Von Gerfried Panovsky

Leise raschelt es in den dunkelgrünen Schatten des urzeitlichen Waldes. Ein prächtiger Rothirsch hebt erschrocken den Kopf, schnuppert, sieht sich um – aber er hat die Witterung der Jägerin nicht aufgenommen, wird den Feuersteinspeer, der ihm das Ende bringt, nicht aus dem Dickicht kommen sehen. Doch sein Tod wird für die Jägerin und ihren Stamm das Überleben bedeuten – die Pflanzen werden erst in Wochen wieder Nahrung spenden. Die Urmenschen sind in dieser Zeit zwischen Winter und Frühling auf Fleisch angewiesen.
So mag es sich vor vielen Jahrtausenden abgespielt haben, als unsere VorfahrInnen die noch weitgehend menschenleeren Wälder und Steppen der Welt durchstreiften. Sie lebten vom Jagen und Sammeln: Mal aßen sie die Früchte des Bodens, mal griffen sie auf Fleisch zurück, ganz von Glück und Jahreszeit abhängig. Hunderttausende Jahre lang war das ihre Lebensweise. Und auch die Fortschritte im Ackerbau änderten vorerst nur wenig an der pflanzenbasierten Diät – bis vor wenigen Jahrzehnten. Heute ist Fleisch keine seltene Kost mehr. Eine mächtige Industrie sorgt nun dafür, dass es uns jeden Tag mehrmals zur Verfügung steht. Und das hat weitreichende Folgen.
ausreizen. Wenn wir die globale Erwärmung bremsen wollen, führt an einer Reduktion des Fleischkonsums kein Weg vorbei“, so Nunu Kaller.
Die Dosis entscheidet
Und das wäre nicht nur eine enorme Hilfe für das Weltklima. Auch die Gesundheit vieler Menschen würde sich verbessern. Unsere Körper haben sich nämlich in den Äonen der Menschwerdung auf eine gemischte Ernährung eingestellt: Beeren, Nüsse, Hülsenfrüchte, Getreide, nur gelegentlich tierische Kost. Und so kämpfen wir heute mit allerlei Krankheiten. Laut Ernährungswissenschaft steigt die Wahrscheinlichkeit von Herzerkrankungen, Schlaganfällen, Diabetes und verschiedenen Krebsarten mit hohem Fleischverzehr deutlich.
Unverarbeitetes rotes Fleisch wird von der WHO als „potenziell krebserregend“ eingestuft, verarbeitetes sogar schlicht als „krebserregend“. Deshalb empfiehlt Greenpeace eine überwiegend pflanzliche Ernährung mit nicht mehr als 630 Gramm tierischer Produkte pro Woche. Das entspricht auch der Empfehlung des World Cancer Research Fund von nicht mehr als 300 Gramm rotem Fleisch pro Woche. Weltweit brächte dies eine Reduktion des Fleischverbrauchs um die Hälfte.
Wald vs. Weide
Das mag ein ambitioniertes Ziel sein – doch die Vorteilesind überzeugend. Anders als die gelegentlicheJagd unserer urtümlichen VorfahrInnen greift die industrielle Landwirtschaft massiv in die Natur ein. So stehen 80 Prozent der Abholzungen weltweit in Verbindung mit der Nahrungsmittelproduktion.
Insbesondere die Tierzucht braucht viel Platz, denn sie benötigt nicht nur Weiden, sondern auch Futtermittel. Dazu kommen die Verschmutzung von Gewässern und die Entstehung resistenter Keime durch Antibiotikaeinsatz. Besonders dramatisch ist der Schwund der Arten. Heute spricht man bereits von einem „sechsten Massensterben“ (das letzte war das der Dinosaurier) – und das hängt damit zusammen, dass immer mehr Tiere ihren Lebensraum verlieren, weil immer mehr landwirtschaftliche Fläche geschaffen wird. Nunu Kaller: „Wir könnten diesen Trend bremsen, wenn es gelingt, die Fleischproduktion zu halbieren. Besonders die großen Säugetiere wie Wölfe, Bären, Löwen und Nashörner hätten eine viel bessere Chance, wenn ihr Lebensraum nicht in Weiden oder Futtermittelplantagen verwandelt wird.“