Reportage: Spurensuche im Müll
Von Gerfried Panovsky
Die Morgensonne glitzert auf den Wellen, die träge in die abgelegene Bucht rollen, wo nur Möwenschreie die Stille kurz zerreißen. Hier kommt kein Mensch hin, kein Tourist macht Fotos, kein Kind baut Sandburgen. Und so wird die Fracht, die die Wellen jeden Tag hier abladen, von niemandem fortgeschafft: Plastik. Plastikmüll aus allen Himmelsrichtungen, von einer Laune der Strömung angeschwemmt. Viele bunte Teile bleiben im Sand liegen, wo Tiere sie mit Nahrung verwechseln und daran zugrunde gehen.
Aber nicht heute. Heute ist alles anders, denn viele Menschen in Grün sind an den Strand gekommen, um aufzuräumen. Die Greenpeace-AktivistInnen haben Greifzangen, Spieße und Arbeitshandschuhe mitgebracht. Sie verteilen sich und heben die vielen tausenden Teile Stück für Stück in vorbereitete Säcke. Während die Sonne steigt und die Hitze den AktivistInnen zu schaffen macht, beginnt sich der Strand zu wandeln. Als sie am Abend müde, aber zufrieden abfahren, sieht der Landstrich wieder unberührt aus.
DetektivInnen für die Umwelt
Die Aufräumaktion am Strand von Euböa in Griechenland war nicht die einzige, die AktivistInnen der Umweltallianz „Break Free From Plastics“ im Spätsommer durchgeführt haben. Insgesamt reinigten sie an 180 Orten in 49 Ländern Strände, Wiesen, Wälder. Sie waren in auf den Philippinen, in Mexiko und auch in Österreich. Sie sind Teil einer wachsenden Bewegung von Menschen, die etwas gegen die Plastikverschmutzung tun.
Sie leisten Großartiges – doch das Aufräumen nimmt kein Ende. Lukas Hammer, Plastik-Experte bei Greenpeace, erklärt: „Während engagierte Menschen aufräumen, produzieren die Hersteller immer noch mehr davon – als wäre nicht längst bekannt, was für Ausmaße die Plastikkatastrophe inzwischen hat. So wird der Einsatz der Menschen immer wieder zunichte gemacht.“
Das wissen auch die AktivistInnen. Doch die Aufräumaktionen von Greenpeace hatten einen zweiten, ganz konkreten Zweck. Lukas Hammer: „Sie waren eine Spurensuche, um die größten Verursacher der Plastikkatastrophe zu identifizieren. Denn wir wollen nicht länger hinnehmen, dass nur BürgerInnen verantwortlich gemacht werden, während die Hersteller mit den billigen Verpackungen große Gewinne einfahren.“
Diese Spurensuche war aufwendig. Nach dem Sammeln mussten die AktivistInnen jedes einzelne der zehntausenden Plastikteile noch einmal ganz genau ansehen. Akribisch suchten sie nach Hinweisen auf die Herkunft – einem Schriftzug, einem Strichcode, einer Herstellerangabe – und notieren sie in endlosen Listen.
Den Herstellern auf der Fährte
187.000 Plastikteile später ist klar: Die Rangliste der Hersteller des gesammelten Plastikmülls führt Coca Cola an, gefolgt von PepsiCo und Nestlé. Die Konzerne reagierten mit der Ankündigung, ihre Flaschen bis 2025 wiederverwertbar zu machen. Lukas Hammer: „Das klingt gut – bis man bedenkt, dass Plastik-Recycling effiziente Strukturen benötigt. Wo diese nicht vorhanden sind, macht es keinen Unterschied, ob Plastik durch das Wort ‚wiederverwertbar‘ ein grünes Mäntelchen hat. Ein Tier wird daran genauso ersticken wie an jedem anderen Teil.“ Wie jene Länder, die selbst die grundlegende Müllversorgung nicht bezahlen können, sich teure Recyclinganlagen leisten sollen, ist unklar.
Ein wichtiger Schritt zur Lösung des weltweiten Plastikproblems liegt jedenfalls darin, weniger Wegwerfplastik zu produzieren. Und dahingehend gibt es erste Erfolge: In Mexiko wird die Millionenstadt Tijuana Einwegsäcke verbieten. Chile und Neuseeland, elf afrikanische Staaten und sieben amerikanische Bundesstaaten haben Maßnahmen gegen die Plastikflut beschlossen. Greenpeace konnte in Russland mehrere Supermarktketten davon überzeugen, Einwegplastik zu reduzieren. Und in Europa ist eine neue Plastikrichtlinie der EU in Diskussion, die ein erster Schritt in Richtung dringender Regulierung ist. Greenpeace wird dafür kämpfen, dass dies nicht der letzte bleibt.
Spuren der guten Taten
Die Abendsonne rötet die Wellen am Versova Beach nahe Bombay. Jahrzehntelang brachen sich die Wellen an immer höheren Plastikbergen – bis die AnwohnerInnen die größte Aufräumaktion der Welt angingen. Sie dauerte Jahre. Doch in diesem März zeigte sich der Erfolg: Zum ersten Mal seit 20 Jahren tapsten Olivschildkröten ihre Spuren in den Sand, um dort zu brüten. Lukas Hammer: „Versova Beach zeigt, dass wir die Schönheit der Strände wieder herstellen können – doch das ist nur von Dauer, wenn auch die Entscheidungsträger in den Konzernen endlich begreifen, dass auch sie Teil der Gesellschaft sind und somit Verantwortung tragen.“ Gerfried Panovsky