Reportage: The Age of Plastic
Von Olja Alvir und Stefan Kerschbaumer

Bumm. Die Tür zum Büro fällt mit einem Knall ins Schloss. Gestochene Schritte, dann klappern die Inhalte einer Einkaufstasche auf einen Tisch. Wir heben den Kopf, schauen verwundert von unseren Tastaturen auf. Die Kollegin ist aus der Mittagspause zurück, und zwar hörbar frustriert: „Du schaust drauf, bewusst zu konsumieren, Lebensmittel in Bio-Qualität und aus vertretbarer Produktion für Mensch und Tier zu kaufen … und dann wird das alles doppelt und dreifach in Plastik eingewickelt. Das kann’s doch echt nicht sein!“
Wir nicken verständnisvoll und runzeln die Stirn. Die Greenpeace-Kollegin mit dem erhitzten Gemüt ist nicht allein. Vielen von uns geht es so, wenn wir Lebensmittel einkaufen. Da gibt’s Beeren und Trauben – im Plastikpackerl. Eine Packung Pralinen – jede einzelne in Plastik verpackt. Gemüse: im Plastikteller serviert. Geschäfte und Supermärkte sind voll mit dem Kunststoff, der oft direkt nach dem Einkauf im Mistkübel landet. Wie ist er so allgegenwärtig geworden?
Rubber Soul
Am Anfang war der Gummi. Die europäischen Kolonisatoren zogen in die Welt aus, um ihre Schätze zu plündern. Einer dieser Schätze kam aus den Tiefen des südamerikanischen Dschungels und hieß Kautschuk. Kautschuk ist die Basis für Gummiherstellung und kommt aus den Milchsäften verschiedener Pflanzen. Das Wort Kautschuk stammt aus den indigenen Sprachen Südamerikas. Es setzt sich aus den Silben für „Holz“ sowie „Blut“ und „weinen“ beziehungsweise „fließen“ zusammen. Übersetzen lässt sich Kautschuk als „Träne des Baumes“, oder „weinendes“ bzw. „blutendes Holz“. Den Pflanzen wird nämlich zur Kautschukgewinnung in die Rinde geschnitten, der Wundsaft, mit dem die Pflanze versucht, die Verletzung zu heilen, wird abgeschöpft. Eines der eindrücklichsten Sinnbilder für die Ausbeutung der Natur durch den Menschen.
Der Gummi, das biegsame Gold, veränderte die Welt. Autoreifen, Schuhsohlen, Regenmäntel: Die Nachfrage nach elastischem, aber widerstandsfähigem Material stieg und stieg. Auf der Suche nach Alternativen zum Kautschuk entstanden Linoleum, Nylon, PVC und PET. Plastiksackerl, Einweggeschirr und Klarsichtfolie. Aus dem Schatz wurde eine Plage.
Heute gibt es fast keinen Ort auf unserem Planeten mehr, der nicht von Plastik verseucht ist. Bei einer Expedition in der Antarktis im Frühjahr war jede einzelne Probe, die Greenpeace vom Schnee und Wasser dieser menschenleeren Landschaft nahm, mit Mikroplastik verschmutzt.
Bad Company
„15 Tipps zur Vermeidung von Plastik“ hier, „fünf einfache Schritte gegen unnötiges Verpackungsmaterial“ da. Blogs und Zeitschriften sind voller Anleitungen, wie wir den Plastikverbrauch im Alltag verringern können. Und das ist gut so. Wir alle können meist ohne Komfortverlust dafür sorgen, selbst weniger Plastikabfälle zu produzieren. Eh! Aber: Es reicht leider nicht. Wenn die größten Plastikschleudern, die internationalen Konzerne, so weitermachen wie bisher, dann wird der Planet trotzdem in Plastik ersticken. Nicht nur das: Es ist nicht fair, die Verantwortung und Lösung für einen Missstand in unserer Gesellschaft komplett auf uns BürgerInnen abzuwälzen.
Wieder einmal. Denn auf den Flaschenkappen und sonstigen Müllfetzen, die Greenpeace-AktivstInnen und Freiwillige bei ihren „Beach Clean-ups“ auf der ganzen Welt einsammeln, steht nicht etwa Ihr Name, oder? Nein. Die Unterschrift auf dem Müll, der Umwelt, Mensch und Tier Schaden zufügt, lautet ganz deutlich: Coca- Cola, Pepsi, Nestlé. „Konzerne und Handel überfluten uns mit Plastik“, sagt Sophie Lampl, Kampagnendirektorin bei Greenpeace Österreich. „Sie stellen das Wegwerfplastik her – doch den Müll sollen wir wegräumen. Das nehmen wir nicht länger hin: Coca-Cola und Co. müssen endlich die Verantwortung für ihre Missetaten übernehmen.“

Unsere Greenpeace-KollegInnen auf den Philippinen sammelten im Vorjahr mehr als 50.000 angeschwemmte Plastikteile in der Bucht von Manila. Sie werteten die Einzelteile in mühseliger Arbeit aus. Das Resultat: Die Megakonzerne Unilever und Nestlé sind die Top-Verschmutzer der philippinischen Meere. 17 Prozent des gesamten Plastikmülls konnten Nestlé zugeordnet werden, zehn Prozent Unilever.
Break Free
Prächtig verdienende, Steuern sparende Mega-Konzerne müssen endlich Konsequenzen für ihr Handeln und ihre Produkte spüren. Lampl fordert: „Sofort höhere Mehrwegquoten und eine deutliche Reduktion der Einwegverpackungen!“ Mit 39,9 Prozent haben diese nämlich den größten Anteil am Kunststoffverbrauch in Europa. Wenngleich das bewusste Handeln von uns allen die notwendige Basis für ein Eindämmen der Plastikflut darstellt: Wir dürfen nicht vergessen, dass bewusster und nachhaltiger Konsum ein Privileg ist, das sich nicht alle Menschen auf unserer Welt leisten können.
Die EU hat heuer mit der Plastikverordnung gezeigt, dass sie bereit ist, Maßnahmen zu ergreifen. Dies kann aber nur der Auftakt zu einem rigoroseren Vorgehen gegen die Flut an Plastikmüll sein. Sophie Lampl meint: „Endlich stellt sich die EU dem Thema Plastik! Allerdings fokussiert die Strategie immer noch viel zu sehr auf Recycling. In Wahrheit geht es darum, dass insgesamt weniger Wegwerfplastik hergestellt werden soll.“ Zu Wegwerfplastik gehören beispielsweise Coffee-to-go-Becher, Strohhalme oder Einmalverpackungen für Fleisch, Obst und Gemüse. Eine Untersuchung hat gezeigt, dass Becher, Flaschen und Sackerl im Schnitt nur fünf Minuten verwendet werden, bevor sie im Abfall landen. Plastik kommt also direkt von der Fabrik in die Mülltonne.
Zugespitzt könnte man sagen: Die Plastikverpackung, die wir heute wegschmeißen, essen wir morgen mit der Mahlzeit mit. Stellen Sie sich vor, Sie würden zusätzlich zur aufgeschnittenen, saftigen Ananas auch gleich einen herzhaften Bissen vom Plastikteller nehmen, auf dem sie verkauft wird. So ist das eben mit dem Kreislauf der Natur: Man kann ihn nicht austricksen, und er drückt auch kein Auge zu für uns Menschen.
Vienna Calling
Österreich hat derzeit den EU-Vorsitz inne. Das ist eine Riesengelegenheit, politische Impulse zu setzen, die auf dem gesamten Kontinent nachwirken. Jetzt ist die Chance, Europa und seine Position in der Welt mitzugestalten, mehr denn je. Anfangen können wir gleich damit, vor der eigenen Türe zu kehren: „In Österreich verteilt der Handel ja noch immer hunderte Millionen Wegwerfsackerln im Jahr - gratis und ungefragt“, kritisiert Sophie Lampl. „Die Regierung muss dem endlich einen gesetzlichen Riegel vorschieben und für ein bundesweites Aus der Gratis-Plastiksackerln sorgen.“
Der Kampf gegen Plastik läuft. Individuell, im Handel, bei Konzernen und in der Politik: überall lauter Gelegenheiten, effektiv und schnell etwas für einen gesünderen Planeten zu tun. Unabhängig von Einzelinteressen und Ländergrenzen. Denn die Plastikkatastrophe ist ein globales Problem, das uns alle betrifft – so wiejedes Umweltproblem.