Zug vs. Flug – eine Analyse der Direktverbindungen in Europa
Frühmorgens in Wien in den Zug einsteigen, sanfte Hügel, Tiefebenen, Wälder und Felder vorüberziehen lassen und am frühen Abend etwa in Belgrad wieder aussteigen? Schön wär’s! Das europäische Bahnnetz zählt zwar zu den dichtesten der Welt, zwischen vielen großen Städten fährt derzeit aber kein direkter Zug auf den Schienen. Wer umweltfreundlich reisen möchte, muss häufig mehrmals den Koffer von der Ablage stemmen, aussteigen und zum Anschlusszug sprinten. Das ist nicht nur mühsam, sondern kostet Zeit. So dauert die kürzeste Reise nach Belgrad derzeit fast 20 statt 10 Stunden. Kein Wunder, dass viele Menschen lieber einen Direktflug buchen.
Dabei könnte es ganz anders sein. Eine aktuelle Greenpeace-Analyse bringt das enorme Potenzial unseres Bahnnetzes ans Licht: Mit der bestehenden Gleis-Infrastruktur ließen sich die direkten Zugverbindungen in Europa verdreifachen. Das Klima und die Umwelt würden profitieren.
Flugverbindungen dominieren
Von den 990 in unserer Analyse untersuchten Strecken zwischen 45 europäischen Städten können derzeit nur 12 Prozent mit einem Direktzug, aber 69 Prozent mit einem Direktflug zurückgelegt werden. Das bedeutet, es werden aktuell mehr als fünfmal so viele Direktflüge wie direkte Zugverbindungen angeboten.
Wer mehrmals umsteigen muss, um ans Ziel zu gelangen, braucht viel Zeit, Nerven und muss meistens auch tiefer in die Tasche greifen. Verständlich, dass viele Reisende das klimaschädliche Flugzeug wählen und die Umwelt lieber an anderer Stelle schonen. Trotzdem hat die Zahl der Zugpassagiere in den Jahren vor der Corona-Krise kontinuierlich zugenommen. Der Wille, das Klima zu schonen, ist da. Doch häufig fehlt eine direkte Verbindung, die das umweltfreundliche Reisen bequemer, zuverlässiger und günstiger macht. Am Bahnnetz scheitert es in den meisten Fällen nicht.
Große Chance für klimafreundliches Reisen
Nach wie vor pumpen viele europäische Regierungen lieber Geld in Straßen- und Luftverkehr als in Bahnverbindungen, vor allem der Ausbau grenzüberschreitender Zugverbindungen bleibt dadurch auf der Strecke. Lohndumpings in der Flugbranche und eine fehlende Kerosinsteuer ermöglichen es zudem, zu Spottpreisen per Flugzeug ins Ausland zu jetten, wenn direkte Zugverbindungen fehlen.
Wollen wir die Klimakrise abbremsen, muss klimafreundliches Reisen mit dem Zug einfacher werden. Die Weichen sind bereits gestellt: Unsere Analyse zeigt, dass das europäische Bahnnetz schon jetzt enorm viele Chancen bietet. Alleine mit bestehender Infrastruktur könnten wir in Europa 305 neue direkte Zugverbindungen zwischen Städten schaffen. „Jeder weiß, dass Züge die nachhaltigste Form des Reisens sind, trotzdem liegt großes Potenzial für bessere Städteverbindungen in Europa einfach brach. Die Regierungen Europas müssen zusammenarbeiten und die Anbindung der Züge verbessern sowie die Anreize für klimaschädliche Flugreisen beseitigen“, fordert Greenpeace-Klimaexpertin Jasmin Duregger deshalb von der Politik.
Wien: gut ausgebaut, aber ausbaufähig
17 der untersuchten Städte sind von Wien aus derzeit mit einem Direktzug erreichbar. Das ist der Spitzenwert unserer Analyse. Trotzdem könnten es mehr sein: Das Bahnnetz hätte Potenzial für 12 weitere Direktverbindungen, etwa nach Zagreb, Luxemburg, Neapel und Sarajevo.
Trotz der guten Zugverbindungen aus Wien gewinnt auch hier der Flugverkehr: 26 Städte der Analyse werden von Wien-Schwechat aus mit dem Flieger angeflogen. Am häufigsten fliegen die Menschen nach London, Barcelona und Kopenhagen. Direkte (Nacht-)Zugverbindungen in die beliebten Metropolen wären möglich! Sie würden klimaschonendes Reisen für viele attraktiver machen.